Der Regisseur Terrence Malick ist dafür bekannt, dass er nur selten einen Film dreht. Die wenigen Filme werden dafür länger und länger. Doch die Rechnung geht nicht auf. Konnte man beim Antikriegsfilm „Der schmale Grat“ noch klaren Handlungssträngen folgen, verzichtet Malick in seinem Spätwerk „The Tree of Life“ fast völlig auf (chrono)logische Nachvollziehbarkeit. Das Geäst dieses Films rankt wild durch das Gemüt des Zuschauers und lässt ihn verstört zurück. Was haben Dinosaurier mit einer Familie der 50er-Jahre zu tun? Nun, sie lebten am selben Fluss.
Der Film möchte eine religiöse Dimension öffnen, doch er traut sich nicht, die Religion beim Namen zu nennen. Immer wieder wird nach Gott gefragt: Wer bist du? Was sind wir für dich? Warum lässt du zu, dass wir leiden? Der Film zelebriert religiöses Analphabetentum. Er will sich einerseits christlich zeigen und doch nicht die Universalität religiöser Indifferenz aufgeben. Und wieder geht die Rechnung nicht auf. Denn dass all die Antworten, nach denen er fragt, im christlichen Glauben, insbesondere im katholischen, gegeben sind, ignoriert er einfach. Haben wir nicht das Antlitz Gottes geschaut? Hat Gott nicht unter uns gewohnt und für uns gelitten bis zum Tod? Man wünscht den verlorenen Figuren in Malicks Film die Kenntnis von Jesus und seiner Mutter Maria. Man wünscht, dass sie insbesondere dem kleinen Hauptdarsteller zur Seite stehen mögen. Aber er bleibt allein in seiner Verzweiflung und betet vor seinem Bett kniend zu jenem ihm trotz seiner christlichen Erziehung so unbekannten Gott.
Die Reflexionen der verschiedenen Filmfiguren über Gott werden meist hinterlegt durch Bilder, die geradezu höllisch anmuten. Bilder von astralen Nebeln, Sonneneruptionen, Schwefelquellen, Lavaströmen. Dazu sakrale Musik, die zwar Gänsehaut verursacht, aber begleitet wird vom Gefühl der Trostlosigkeit angesichts dieses unpersönlichen Gottes der Naturgewalten, der eher an den Gott des Islam erinnert. Hoch oben, fern unseres Verständnisses und vor allem fern allen Verständnisses für uns.
In der Mitte des Films, nach einer Exkursion zu Urknall, Amöben und Dinosauriern, gibt es so etwas wie eine Handlung. Diese Kindheitsgeschichte hat in der Tat etwas Anrührendes. Man fühlt mit dem ältesten Sohn der Familie mit, wie er unter dem autoritären Vater leidet, den Konflikt der Eltern als inneren Zwiespalt mit sich selbst auszutragen versucht (Vater. Mutter. Ewig ringt ihr in mir. Und nie hört ihr auf.), oder ihm in der Rivalität mit dem jüngeren Bruder freien Lauf lässt und sich an dessen späteren Tod wohl mitschuldig fühlt. Jener Bruder ist die einzige Filmfigur, die wirkt, als habe sie ein intuitives Gottvertrauen inne, das im selbstvergessenen Gitarrenspiel, in der Malerei zum Ausdruck kommt. Im Gegenzug will es trotz aller Bemühungen nicht gelingen, die Mutter als tief gläubig darzustellen. Sie bleibt in ihrer Schönheit oberflächlich wie ein Model. Selbst Brad Pitt als desillusionierter Familienvater zeigt da mehr Profil.
Kaum hat man sich an die introspektive Erzählweise gewöhnt, taucht auf der Leinwand wieder jener Nebel auf, und uns entfährt ein Stoßgebet: bitte, nicht die Dinosaurier! Nein, sie bleiben uns diesmal erspart. Stattdessen gibt es Bilder von Planeten, von Felsen, von Hochhausfassaden, bevor alle Darsteller in einem bunten Reigen an einem Strand umherspazieren. So stellt man sich den Himmel nicht vor.
Und dann, wenn man sich bange fragt, was der Regisseur einem noch zumuten will, entlässt uns der Film in den Abend. Ein preisgekröntes Werk. Gott sei Dank, es ist überstanden.
The Tree of Life. Ab 16. Juni in deutschen Kinos