Am 11. Oktober 2009 wurde der spanische Trappist Rafael Arnaiz Baron (1911-1938) heilig gesprochen. Dieser mit 27 Jahren in der Abtei San Isidro de Duenas verstorbene Mystiker beeindruckt durch seine tiefe Spiritualität und sein einfaches und frohgemutes Wesen, mit dem er vertrauensvoll sein Kreuz auf sich nahm. Dank der freundlichen Genehmigung der Herausgeberin und des Bernardus-Verlags, bei dem die Gesamtausgabe der Schriften des Heiligen bestellt werden können („Nur Gast auf Erden?“), veröffentlichen wir hier Auszüge aus denselben.
Leben unter Deinem Kreuz (2)
13. Februar 1938 – Sonntag Septuagesima – im Alter von 26 Jahren
Lass mich unter Deinem Kreuz leben, ohne an mich selbst zu denken, ohne etwas anderes zu wollen oder zu wünschen als – wie von Sinnen – das göttliche Blut zu betrachten, das die Erde tränkt!
Lass mich weinen, Herr, aber weinen, weil ich sehe, wie wenig ich für Dich tun kann! Weinen, weil ich Dich so sehr beleidigt habe, als ich fern war von Deinem Kreuz! Lass mich darüber weinen, dass Dich die Menschen vergessen, sogar die guten!
Lass mich, Herr, unter Deinem Kreuz leben… tagsüber, nachts, bei der Arbeit, in der Ruhe, im Gebet, beim Studium, beim Essen, während des Schlafes…, immer, immer!
Wie weit entfernt ist die Welt, wenn ich an das Kreuz denke! Wie kurz wird mir der Tag, wenn ich ihm mit Jesus auf Golgatha verbringe! Wie sanft und ruhig ist das Leiden, das gemeinsam mit dem gekreuzigten Jesus erlitten wird!
Vor nicht langer Zeit erkannte ich, wie kostbar die Wege Christi sind. Aber es ist im Kreuz, wo ich immer Trost gefunden habe. Es ist im Kreuz, wo ich das Wenige, das ich weiss, gelernt habe. Es ist im Kreuz, wo ich stets mein Gebet und meine Meditationen verrichtet habe… In Wirklichkeit kenne ich keinen besseren Ort und bin unfähig, ihn zu finden – also lebe ich im Frieden.
Herr, weil ich die göttliche Schule Deines Kreuzes sehe, weil ich erkenne, dass es auf Golgatha ist, wo ich Maria Gesellschaft leiste, wo ich einzig und allein lernen kann, mich zu bessern, Dich zu lieben, mich zu vergessen und zu verachten, darum: „Lass nicht zu, dass ich mich von Dir trenne!“
Wie gut ist Gott zu mir! Ja, ich bin nicht fähig, es in Worte zu fassen. Er holt mich mit Gewalt aus der Welt. Er schickt mir ein Kreuz und bringt mich in die Nähe des Seinen… Und so: Nur warten! Warten im Glauben, mit Liebe! Warten und das Kreuz umfangen!
Ach, die Torheit des Kreuzes, wer sie doch besäße! Ach, wenn die Welt doch um den Schatz des Kreuzes wüsste, wie würden sich die Menschen verändern!
Ach, würde Gott doch nicht zulassen, dass ich Ihn beleidige! Und ich tue es immer, wenn ich mich vom Kreuz entferne. Wie glücklich wäre ich!
Darum, Herr, klammere ich mich mit meiner ganzen Kraft daran, darum vereinige ich meine Tränen mit Deinem Blut, darum schreie ich mit Seufzen und Klagen… Darum habe ich auch den Wunsch, wahnsinnig zu werden, wahnsinnig aus lauter Liebe zu Deinem heiligsten Kreuz!… Höre mich, o Herr, achte auf mich und verachte nicht mein Flehen! Wasche mit dem Wasser Deiner Seite meine großen Sünden, meine Fehler, meine Undankbarkeit! Fülle mein Herz mit Deinem göttlichen Blut und stille meine Seele, die nicht aufhört zu flehen: „Lass mich, Herr, bei Deinem Kreuz leben, und lass nicht zu, dass ich mich von ihm abwende!“
Jungfrau Maria, Mutter der Schmerzen, wenn Du Deinen blutüberströmten Sohn auf dem Kalvarienberg anschaust, lass mich demütig Deinen ungeheuren Schmerz aufnehmen, und lass mich – obwohl ich dazu nicht würdig bin – Deine Tränen trocknen!
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