Am 11. Oktober 2009 wurde der spanische Trappist Rafael Arnaiz Baron (1911-1938) heilig gesprochen. Dieser mit 27 Jahren in der Abtei San Isidro de Duenas verstorbene Mystiker beeindruckt durch seine tiefe Spiritualität und sein einfaches und frohgemutes Wesen, mit dem er vertrauensvoll sein Kreuz auf sich nahm. Dank der freundlichen Genehmigung der Herausgeberin und des Bernardus-Verlags, bei dem die Gesamtausgabe der Schriften des Heiligen bestellt werden können („Nur Gast auf Erden?“), veröffentlichen wir hier Auszüge aus denselben.
Den folgenden Brief schrieb er von seinem Elternhaus aus an seine Tante (mit der er verabredet hatte, sich gegenseitig mit ‘Bruder’ und ‘Schwester’ anzureden), nachdem er ca. 2 Jahre vorher die Abtei aufgrund seiner Erkrankung verlassen musste.
An seine Tante Maria, Herzogin von Maqueda, von Oviedo aus
15. Dezember 1935 – 3. Adventssonntag – im Alter von 24 Jahren
Liebste Schwester! (…)
Morgen muss ich nach der hl. Messe zur Werkstatt, um etwas – ich weiss nicht was – am Auto herrichten zu lassen. Nun gut, ich tue es mit wahrer Freude. Ich sehe Gott zwischen dem Öl und den Schrauben… Ich denke daran, dass die Mechaniker um mich herum Gott nicht kennen, und bete für sie… Ich kenne Ihn; Er ist auch dort an meiner Seite. Ich rede über alles und mit allen und tue es sehr gern; denn es ist der Herr, der es so haben möchte. Ich übe mich in der Geduld, in der Liebe, in der Nächstenliebe… Aber nimm nur ja nichts Großartiges an, denn es kostet mich keine Mühe; ich sagte ja schon, dass ich all das mit Freude tue. Wie sollte ich es nicht? Gott ist in mir; ich habe Ihn am Morgen empfangen, und er begleitet mich durch den ganzen Tag. Es gibt keinen Kampf mehr, nichts reizt mich mehr… Warum wohl?
Früher wollte ich, dass alle Welt im Schweigen verharren, alle Welt Gott erkennen und allein schon beim Anklingen des Namens des Herrn sogar die Straßenbahnen innehalten sollten. Es war eine besondere Art, Gott zu lieben, und auch Liebe zu mir selbst, die besonderer Art war. Ich weiss nicht, ob du mich verstehst, aber in der äusseren Sammlung suchte ich mich selbst.
Jetzt ist es nicht mehr so, dank sei Gott und der Jungfrau Maria! Und wenn mich ein Mitmensch für eine Sache braucht, die nicht Gott ist, dann tue ich es im Namen Gottes… So erfülle ich zwei Dinge gleichzeitig, aber ganz besonders das Eine: ich erfülle Seinen heiligen Willen.
Mut, Schwesterlein, Du kannst fliegen, o ja, das glaube ich! Die Welt soll Dich nicht beunruhigen; bereite einen Tabernakel in Deinem Herzen und gib dem Herrn Raum darin. Und Du selbst? Was soll’s? Du bist der Tempel, in dem sich dieser Tabernakel befindet… Du bist der Tempel, in dem Gott verborgen lebt. Öffne deine Türen und mach keinen Hehl daraus! Sei wie diese bescheidenen Kapellchen, von Zerstörung bedroht durch unbarmherzige Witterungseinflüsse. Es soll Dir nichts ausmachen, wenn hin und wieder neue Dachziegel eingesetzt oder der Glockenturm repariert werden muss… Alles, was Lehm und Materie ist, wird abgenutzt und fällt manchmal zusammen, aber das macht nichts, denn alles kommt wieder in Ordnung. Dein Weg ist der kleine Pfad, und Du musst keine großen Dinge vollbringen… Aber wer sagt Dir denn, dass der Laienbruder nicht sehr hoch flog und dass er sich nicht – während er den kleinen Krug in einer Hand hielt – mit der anderen an Gottes Hand festhielt? (*)
(…) Der Gedanke, dass Gott Dich liebt, wird Dir Flügel verleihen… Dieser Gedanke muss Dir genügen. Du wirst Dich in der Welt bewegen, und die Welt wird es nicht bemerken… Und wenn Du jetzt Gelegenheit gibst, dass die Geschöpfe Unfreundlichkeit in Dir sehen statt Geduld, Ungeduld statt Liebe, und wenn Du Dich verdriesslich zeigst, wo Ruhe und Milde herrschen sollten…, dann misstraue der Sache, Schwesterlein, misstraue (vielleicht bin ich hart), aber dann bist Du entweder nicht demütig oder der Teufel steckt dazwischen…
Mach Dir keine Sorgen, denn alles geht vorüber! Du wirst sehen, wie sich der böse Geist mit der Hilfe Mariens zurückzieht. Zögere nicht, Dich Gott ganz hinzugeben. Wenn Du Dir nur bewusst würdest, wie sehr Er Dich liebt!
Du würdest gerne fliegen und nicht wieder herunterkommen… Aber Du kannst dort, wo Du bist, so viel Gutes tun. (…)
Ich bin sehr zufrieden, obwohl mir heute etwas fehlt: ich konnte nicht kommunizieren. Mein Vater hat mich nicht geweckt. Ich habe eine ziemlich schlechte Nacht hinter mir und weiss nicht warum… Aber an den Tagen, an denen ich den Herrn nicht empfangen kann, fehlt mir die Mitte, dann vermisse ich etwas, was für mich alles bedeutet. Kurz und gut, der Herr sei gepriesen!
Ich weiss nicht, ob ich mit meinem Brief das Richtige getroffen habe, aber schau – ich wiederhole es -, nimm heraus, was Dir zusagt, und lass das übrige. Ich möchte nicht, dass ich vielleicht – und trotz meiner guten Absicht – Anlass gebe, dass Du durcheinander gerätst. Verstehst Du mich? Ein andermal schreibe ich Dir mehr.
Onkel Polin erzählte mir, dass er Dich habe weinen sehen beim Lesen einer meiner Briefe…; mach bitte keinen Unsinn!
Nimm entgegen die ungeheuer große Liebe Deines Bruders,
Bruder Maria Rafael O.C.R.
Lass uns in der Zwischenzeit die Krippe für das Jesuskind bereiten.
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(*) In der ‚Ballade von den Zweifeln des Laienbruders‘ von Josef Maria Peman
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